Das übliche Vorstellungsgespräch

30.01.2024

Dieser Artikel wurde von Jevgeni Kabanov, dem Präsidenten von Bolt, geschrieben. Wenn du mehr von seinen Artikeln sehen möchtest, besuche Jevgeni’s persönlichen Blog.

Die Struktur eines normalen Interviews

Im Laufe der Jahre habe ich eine Standardstruktur für Vorstellungsgespräche entwickelt. Sie funktioniert am besten für erfahrene Mitarbeiter:innen. Bei Nachwuchskräften sollten nur die Soft-Skills abgefragt werden. Ansonsten ist es ein reines Testen durch Aufgaben.

Die Struktur ist einfach:

  • Motivation
  • Hintergrund
  • Projekte
  • Aufgabe
  • Fragen an Bewerber:innen
  • Fragen an mich

In diesem Beitrag werde ich in etwa der gleichen Struktur folgen. Aber zuerst wollen wir über die Ziele und Methoden in Interviews sprechen.

Ziele und Methoden

Das Ziel eines Vorstellungsgesprächs ist es, zu entscheiden, ob ein/e Bewerber:in für eine Stelle geeignet ist (und wenn mehrere Stellen zu besetzen sind, dann ist das zweite Ziel, herauszufinden, für welche Stelle die Person geeignet ist).

Die meisten von uns haben von vornherein eine Vorstellung von idealen Bewerber:innen. Normalerweise formalisiere ich dieses Modell, indem ich es in Komponenten aufteile, die ich unabhängig voneinander bewerten kann, um verschiedene Bewerber:innen gut vergleichen zu können. Bei Produktmanager:innen z.B. achte ich auf die folgenden Eigenschaften:

  • Systematisch
  • Datenorientiert
  • Technisch versiert
  • Storytelling
  • Unkonventionelles Denken
  • Wirkungsorientiert
  • Kundenfokussiert
  • Passt zur Betriebskultur

In einem anderen Post erzähle ich gerne mehr über Kompetenzmodelle, aber ich gehe den Einstellungsprozess und das Vorstellungsgespräch so an, dass ich die Aspekte, die ich im Kompetenzmodell für die Stelle identifiziert habe, überprüfen kann.

Während des Gesprächs mache ich mir viele Notizen, denn ich weiß, dass Erfahrung nicht alles über eine Person aussagt. Wenn ich mich zwei Wochen später zwischen mehreren Kandidat:innen entscheiden muss, kann ich mich nicht mehr an den genauen Kontext erinnern, und ein Blick in meine Notizen hat mir in solchen Fällen schon oft sehr geholfen.

Seit dem Beginn der Pandemie ist das Mitschreiben  viel einfacher geworden, weil ich Bewerber:innen mein ständiges Tippen nicht mehr so oft erklären muss!

Hometask

Vor dem Vorstellungsgespräch bitten wir Bewerber:innen immer, eine Aufgabe zu bearbeiten. Diese dauert in der Regel 4-8 Stunden und enthält Fragen, die denjenigen ähneln, mit denen die Person in ihrer Position täglich konfrontiert wäre. 

Es ist zwar nicht mehr so üblich, dass erfahrene Bewerber:innen eine dieser Aufgaben bearbeiten, dennoch sind wir bei dieser Anforderung selten Kompromisse eingegangen — meiner Erfahrung nach haben viele Bewerber:innen nämlich das Vorstellungsgespräch bestanden, nicht jedoch die Hometask.

Motivation

Zu Beginn des Gesprächs stelle ich mich vor, bitte den/die Bewerber:in, sich vorzustellen, und frage, warum er/sie sich für das Unternehmen und die Stelle interessiert. Das ist eine Möglichkeit, das Gespräch in Gang zu bringen und herauszufinden, warum eine Person nach einer Stelle sucht. Es gibt hier keine richtige Antwort, aber im Allgemeinen solltest du eher nach Leidenschaft als nach reinem Geschäftsinteresse suchen.

Die coolste Motivation, die ich je gehört habe, war die eines zielstrebigen Mannes, der sagte: “Ich möchte ein Startup-Gründer werden und ich bin überzeugt, dass die Mitarbeit in eurem Team die beste Schule ist, die ich bekommen kann”. Er hatte wenig Erfahrung und einen anderen beruflichen Hintergrund, aber er hat sich unglaublich schnell bewährt.

Hintergrund

Ich bitte Bewerber:innen, den Lebenslauf, den ich vor mir habe, zu ergänzen. Das Ziel ist es, den Kontext für den Rest des Gesprächs zu schaffen. Lebenslauf und Leistungsnachweis haben fast keinen Einfluss auf meine Bewertung. Ich verbringe weniger als 10 Minuten mit den ersten beiden Teilen.

Ich mag Lebensläufe, die gut strukturiert sind und sich auf quantifizierbare Ergebnisse stützen, aber ich sehe auch oft Lebensläufe, die nichts mit der Realität zu tun haben. Wenn ein/e PM den Umsatz des Unternehmens in einem halben Jahr um 20% gesteigert hat, sollte er/sie dies mit einer soliden Geschichte belegen können. Oft war sein/ihr Beitrag nämlich nur ein kleiner Bestandteil einer allgemeinen Veränderung im Unternehmen.

Projekte

An dieser Stelle bitte ich Bewerber:innen darum, zwei Projekte aus ihrer Vergangenheit auszuwählen und in die Diskussion einzusteigen. Ein Projekt kann alles sein — mich interessieren Beginn und Ende, die genutzten Ressourcen, die gesammelten Daten, die getroffenen Entscheidungen und die daraus resultierenden Auswirkungen. Hier beginnt der eigentliche Teil des Gesprächs.

Das Ziel ist es, einen Einblick in den Denkprozess der befragten Person zu bekommen. Ich dränge sie dazu, konkret zu werden (ich habe X, dann Y und dann Z gemacht, darüber hinaus habe ich den ABC-Prozess befolgt), versuche, mitzudenken und stelle fünf Warum-Fragen, um die Bewerber:innen zum Nachdenken anzuregen.

Es gibt mehrere Aspekte, anhand derer ich beurteilen kann, ob Kandidat:innen für eine Stelle geeignet ist:

  • Storytelling: Können sie eine fesselnde Geschichte erzählen? Das ist ein erstaunlich guter Indikator für emotionale Intelligenz.
  • Systematisch: Wie strukturiert sind sie? Gibt es einen logischen Aufbau der Geschichte, und werden die Probleme in ihre Einzelteile zerlegt, um dann zu Lösungen zu kommen? Nennen sie die grundlegende Motivation für ihre Entscheidungen? Können sie diese angemessen erklären?
  • Kreative Intelligenz: Kommen sie zu kontraintuitiven Erkenntnissen? Was machen sie mit ihnen? Finden sie durch Lernen und Brainstorming neue Wege, ihre Ziele zu erreichen?
  • Zusammenarbeit: Erwähnen sie andere? Verteilen sie die Lorbeeren für den Erfolg richtig oder konzentrieren sie sich nur auf sich selbst?

Je nach Aufgabe achte ich auch auf andere Anzeichen für bestimmte Fähigkeiten und stelle offene Folgefragen. Ich versuche, spezifische Fragen in Vorstellungsgesprächen zu vermeiden, da sie oft die Antwort verraten.

Eine Sache, die ich selten direkt prüfe, sind Führungsqualitäten, denn ich habe festgestellt, dass Menschen, die strukturiert und klug sind und über eine gute emotionale Intelligenz verfügen, nie Probleme haben, andere zu führen. Viele sogenannte gute Manager:innen scheitern dagegen schnell, weil sie in ihrem Bereich nicht genügend Fähigkeiten haben. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel. 

Du fragst dich, warum ich meine Vorgehensweise verrate? Das erkläre ich dir im nächsten Abschnitt.

Aufgabe

In einem Vorstellungsgespräch verbringe ich nur um die 10 Minuten damit, eine Aufgabe mit dem/der Bewerber:in zu bearbeiten. Aber in Wirklichkeit ist das, zusammen mit der Überprüfung der Hometask, oft für die meisten Ergebnisse verantwortlich. Es prüft alles, was ich zuvor erfahren habe, und ist wichtig, um Vertrauen in die bewerteten Fähigkeiten zu gewinnen.

Für die Aufgabe wähle ich einige einfache Problemstellungen aus (mit denen der/die Bewerber:in aber wahrscheinlich noch nicht in Berührung gekommen ist), die in Zusammenhang mit der zu besetzenden Position stehen. Wir haben mehrere Aufgaben mit Problemstellungen und Bewertungsrichtlinien, die wir im Rotationsverfahren mit den Bewerber:innen bearbeiten.

Ein (erfundenes) Beispiel für die Rolle eines Produktmanagers könnte sein: “Wie würdest du Flugtickets verkaufen?” Das ist ein gutes (wenn auch ungeprüftes) Beispiel für eine einfache Frage mit viel Tiefgang. Du solltest erkennen, dass du pro Flug einen möglichst hohen Gewinn erzielen musst, was eine möglichst hohe Auslastung voraussetzt, woraus sich Überbuchungen, dynamische Preise, Treueprogramme und sogar Auktionen für freie Kapazitäten ergeben. Ganz zu schweigen vom Online-/Offline-Channel-Management und der Integration mit einfachen Drittsystemen.

Während dieser Aufgabe bringe ich die Befragten auch dazu, tiefer zu denken und die tatsächlichen Erkenntnisse zu beschreiben, nicht nur den Prozess. Wie im Abschnitt “Projekte” oben, untersuche ich, wie Bewerber:innen Probleme angehen und welche Fähigkeiten sie dabei zeigen.

Fragen an Bewerber:innen

Für einige Rollen habe ich ein paar offene Fragen vorbereitet und greife sie manchmal während der Projekt- und Aufgabendiskussion auf. Manchmal stelle ich auch Folgefragen zu den Hometasks.

Fragen an mich

Ich lasse den Bewerber:innen immer mindestens 10 Minuten Zeit, um mir Fragen zu stellen. Das Vorstellungsgespräch ist ein zweiseitiger Prozess; Kandidat:innen sollen auch etwas über mich erfahren. Ich beantworte Fragen so offen und transparent, wie ich kann.

Zum Beispiel hat mich einmal jemand gefragt, ob der Ruf von Bolt als Nachahmer wahr sei, worauf ich geantwortet habe: “Ja, und wir sind stolz darauf”. Daraufhin habe ich erklärt, dass unsere einzige Motivation darin bestehe, einen Mehrwert für Kund:innen zu schaffen, und wenn der beste Weg darin bestehe, jemanden zu kopieren, täten wir das gerne. Aber wir würden eben auch differenzieren, wenn wir glauben, dass wir mehr Nutzen schaffen könnten.

Zusammenfassung

Und das war’s! Am Ende des Gesprächs bewerte ich die verschiedenen Aspekte und füge einen kurzen Bericht hinzu, damit Hiring Manager eine fundierte Entscheidung treffen können, ohne weitere Informationen zu benötigen.

Diese Struktur funktioniert für eine erstaunliche Vielfalt von Aufgaben, da zwar die Projekte unterschiedlich sind (einen Launch durchführen, ein Team aufbauen), aber der Prozess derselbe bleibt.

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