Was macht eine Stadt wirklich zu einem Zuhause — eine Urbanistin beantwortet unsere Fragen
21.09.2023
Eine Stadt ist ein toller Ort zum Leben — vor allem, wenn du ein Auto bist.
Ironie? Na ja, nur zum Teil. Eigentlich ist das ein treffendes Bild dafür, wie sich unsere Städte im letzten Jahrhundert entwickelt haben. Da bis zu 60% des öffentlichen Raums für die Infrastruktur von Autos genutzt werden, sind die Städte zu einem Zuhause für die Autos geworden, die durch sie fahren — und nicht für die Menschen, die in ihnen leben.
Um zu verstehen, was eine Stadt, die sich für die Menschen wie ein Zuhause anfühlt, eigentlich bedeutet, haben wir mit der Architektin, Stadtplanerin und Mutter von vier Kindern Yoko Alender gesprochen.
Unsere neueste Kampagne unterstützt die Idee, dass sich eine Stadt wie ein Zuhause anfühlen sollte. Wenn du vor die Tür trittst, sollte eine Stadt sich nicht wie ein Betonkorridor aus totem Metall anfühlen, sondern wie ein gemütliches Wohnzimmer. Was macht deiner Meinung nach eine Stadt zu einem Zuhause?
Ein Zuhause bedeutet für uns Sicherheit, Behaglichkeit und Wohlbefinden. Wir wissen instinktiv, wie wir sein und was wir tun sollen. Der Raum unterstützt uns dabei, wir selbst zu sein und unser Leben zu leben.
Öffentliche Räume sollten genauso intuitiv sein. Sie sollten uns sagen, was wir tun und wie wir uns verhalten sollen — wo wir fahren, gehen und sitzen sollen — und dabei immer dafür sorgen, dass wir uns sicher fühlen können. Und so wie Wohnzimmer uns zusammenbringen, sollten öffentliche Räume zu Beisammensein und Interaktion einladen.
Was sind die Schlüsselelemente, die dafür sorgen, dass sich eine Stadt für Menschen wie ein Zuhause anfühlt?
1) Schutz — vor Verkehr, Lärm und Umweltverschmutzung in allen Formen;
2) Komfort — eine Vielzahl von Orten zum Spazierengehen, Entspannen und Spielen;
3) Genuss — Schöne Ausblicke, Grünflächen und ansprechende architektonische Details.
“Die Straßen sollten sich sicher anfühlen. Ich muss mich mit Freund:innen unterhalten können und ihre Antwort hören, während wir spazieren gehen. Der Ort sollte menschenfreundlich sein — nicht verwirrend oder so gestaltet, dass ich mich klein und unbedeutend fühle.”
Der Ort sollte auch eine eigene Identität haben — etwas, das ihn zu deinem Viertel macht. Vielleicht gibt es dort eine schöne Aussicht oder einen vertrauten Duft, wie eine Bäckerei, oder einen neuen Kinderspielplatz, den du entdecken kannst.
Nach diesen Kriterien scheinen sich die meisten Städte nicht wie ein Zuhause anzufühlen. Woran liegt das?
Historisch gesehen waren Städte auf Menschen ausgelegt. Ein Großteil des öffentlichen Lebens, wie der Austausch von Nachrichten und der Handel, fand auf Straßen und Plätzen statt. Die Straßen waren für Fußgänger:innen gemacht, und die Schilder waren so gestaltet, dass man sie bei einer Geschwindigkeit von 5km/h lesen konnte.
Doch dann kamen Autos, die 50, 60 oder mehr als 90 km/h schnell fuhren. Das machte eine ganz andere Straßengestaltung erforderlich, denn das menschliche Auge nimmt beim Autofahren Dinge anders wahr (man muss nur an die Größe von Autobahnschildern denken). Auch ein höherer Lärmpegel und ein Gefühl der Unsicherheit waren die Folge.
Wenn Straßen nicht mit Fokus auf den (zu Fuß gehenden) Menschen gestaltet werden, kann sich eine Stadt nicht wie ein Lebensraum anfühlen.
Wie können Stadtverwaltungen dafür sorgen, dass sich Bewohner:innen in einer Stadt zu Hause fühlen?
Das Wichtigste ist, die Grundlagen des täglichen Lebens zu organisieren.
Bekomme ich einen Platz für mein Kind im nächstgelegenen Kindergarten, damit ich es dorthin bringen und auf dem Weg dorthin meine Nachbarn treffen kann? Gibt es einen örtlichen Spielplatz oder einen Park?
Gibt es einen Laden vor Ort, in dem ich täglich meine Milch und mein Brot kaufen kann, oder eine Kneipe um die Ecke, in der ich etwas trinken kann? Ist die örtliche Bushaltestelle ein schöner Ort, um auf den Bus zu warten und mit anderen zu reden?
Diese alltäglichen Dinge bestimmen die Lebensqualität und das Gefühl von Heimat.
Welchen Einfluss haben Verkehr und Mobilität auf das Gefühl, in einer Stadt zu Hause zu sein?
Ich glaube an Flexibilität, wenn es um Mobilität geht. An einem Tag benötige ich vielleicht ein Auto, am nächsten Tag nehme ich lieber die Straßenbahn. Oder ich möchte draußen unterwegs sein und Fahrrad fahren.
In großen Städten hat man immer die Wahl zwischen U-Bahn und Bus — man kann wählen, ob man schnell ans Ziel kommen oder die Fahrt genießen möchte. Menschen von außerhalb sollten Bustickets ganz einfach mit ihrer Bankkarte oder ihrem Smartphone kaufen können, anstatt nach einem speziellen Automaten zu suchen.
Wie bei uns zu Hause möchten wir auch, dass unsere Umgebung schön aussieht. Auch öffentliche Verkehrsmittel können gut aussehen und tolle Ausblicke bieten — sieh dir nur die Doppeldeckerbusse in London an!
Design und Charakter von öffentlichen Verkehrsmitteln, Straßen und Schildern und vielen anderen Details können zur Identität einer Stadt beitragen und sie einzigartig machen — einzigartig wie ein Zuhause.
Es gibt immer mehr kommunale Initiativen, die darauf abzielen, Stadtgebiete menschenfreundlicher zu gestalten. Welche sind deine Favoriten?
Die erste Initiative, die mir einfällt, ist die New Yorker Parklet-Initiative. Aber wenn ich mehr an meine Heimat denke, finde ich, dass die Community-Festivaltage in Uue-Maailma und Kalamaja in Tallinn wirklich dazu beigetragen haben, die Menschen zusammenzubringen und ihre Straßen auf eine andere Weise zu erschließen. Ein langer Tisch wurde auf der Straße aufgestellt und alle trafen sich mit ihren Familien und Freund:innen zu einem gemeinsamen Abendessen.
Fühlt sich deine Stadt wie ein Zuhause an?
Unsere Städte sollten sich wie ein Zuhause für Menschen anfühlen, nicht nur für Autos. Geteilte Mobilität kann dazu beitragen, die Zahl der Autos auf unseren Straßen zu reduzieren und den Menschen einen Teil des Raums zurückzugeben.
Lies mehr über unsere “Feels like home”-Kampagne, um zu erfahren, wie eine lebenswerte Stadt aussehen sollte.